Wandern im Herbst in den Alpen: Ist bei uns noch alles ganz dicht?
Von kaputten Zelten, Eleganz am Berg, Mundraub und Hausfriedensbruch. Und warum man im Herbst wandern gehen sollte – und warum besser nicht.
Wir entscheiden uns den Fernwanderweg E5, auf dem ich schon im Sommer von Zams bis Meran gelaufen bin, zu wandern. Wir wählen die Strecke von Verona bis Rovereto im Trentino. Ein schöner Mix aus sanft geschwungen Almen und den ersten spitzen Gebirggstöcken der Alpen. Der Monte Pasubio soll der Höhepunkt werden – nicht nur wörtlich, sondern auch, weil er sowohl für seine Schöhnheit als auch für seine grausame Geschichte im ersten Weltkrieg bekannt ist. Jetzt muss nur noch das Wetter mitspielen, aber in Italien ist doch immer gutes Wetter, oder?
Tag 1: Eleganz am Berg
Avesa – Nello’s Garten nahe Schioppo
Die Eleganz am Berg bleibt schon vom ersten Tag an auf der Strecke: Schwer beladen mit Zelt, Schlafsack, Regensachen und einer Menge Proviant, wandern wir in Avesa los. Nach Avesa sind wir mit dem Bus (Linie 23, Abfahrt am Hauptbahnhof, 20 Minuten, 1,30 Euro) gefahren, hier fängt der Fernwanderweg E5 offiziell an.
Nicht nur die Optik, sondern auch das Gleichgewicht wird durch unsere eigenwillig gepackten Rucksäcke auf die Probe gestellt. An den entscheidenden Stellen geht aber alles gut. Denn im verzauberten Val Borago, durch das das erste Stück der Etappe führt, geht es nicht nur steile Stahltreppen hoch, sondern auch auf schmalen Pfaden entlang der Schlucht.
Wir sind langsam unterwegs und schaffen nur die Hälfte der Etappe, die der Rother Wanderführer vorschlägt. Macht nichts, nach freundlichem Fragen dürfen wir bei Nello, einer italienischen Version von Peter Lustig, im Garten unser Zelt aufschlagen.
Der Doppel-Backpack im Penner-Style ist modisch fragwürdig. Egal, denn wir werden in den nächsten Tagen auf unserer Wanderung auf dem E5 durch das Trentino kaum andere Menschen treffen
Im grünen Val Borago fallen die erodierten Felswände steil ab. Hier sollte man nicht nach Regen entlang laufen. Gut, dass die Sonne noch scheint
Unser Zelt im Garten des Sommerhauses von Nello
Tag 2: Mundraub und andere gute Gründe, warum man im Herbst im Trentino wandern sollte
Nello’s Garten bei Schioppo – Kuhweide nahe Erbezzo
Mit kurzer Hose und T-Shirt wandern wir im Sonnenschein am morgen los: Es ist einfach paradiesisch, im Herbst zu wandern! Und dazu haben wir die traumhafte Landschaft der Lessinischen Alpen im Trentino und die Aussicht über die sanft geschwungenen Almen ganz für uns allein.
Aber Äpfel, Khakis, Feigen und Walnüsse sind die wahren Gründe, warum man im Herbst Wandern sollte. Sie sind ein klasse Wander-Snack und bessern unser Frühstück auf – es ist doch kein Mundraub, wenn es auf dem Boden lag?! Kurze Zeit später sind wir auf der Spur der Maronen. Egal, wie schwer der Rucksack ist, die Maronen müssen mit. In der Sammelwut übersehen wir das ein oder andere Schild, was uns auf den ein oder anderen Umweg führt.
Frühstück mit Aussicht: Mit Blick auf den Gardasee in der Ferne
Unser Abendessen ist gesichert: Die Zutaten werden frisch gesammelt
Der natürliche Felsbogen der Ponte di Véia inspirierte Dante Alighieri bei seiner Göttlichen Kommödie und diente in der Altsteinzeit als Wohnort
Der Fernwanderweg E5 führt durch das dschungelartige Val dell’Falconi, durch das ein Bach über viele kleine Wasserfälle fliesst
In den Lessinischen Alpen wird der typische, leicht rosafarbene Kalksandstein aus der Region schon seit Jahrhundeten zum Hausbau und zur Wiesenbegrenzung verwendet
Wer genau hinschaut kann im „Rosso Ammonitico“ manchmal kleinste Meerestierchen entdecken
Der Herbst ist da: Sonne, Obst und Nüsse – eine gute Wanderzeit
Tag 3: Sind wir noch ganz dicht?
Kuhweide nahe Erbezzo – Albergo Belvedere in Giazza
Die Nacht haben wir auf einer (keine Sorge, verlassenen) Kuhweide nach Erbezzo verbracht. Das Wildschwein-Gegrunze aus der Ferne beunruhigt uns weniger als die Tropfen, die mir nach ein paar Stunden Dauerregen penetrant ins Gesicht fallen.
Am nächsten Morgen regnet es immer noch und mein Schlafsack ist komplett nass. Das Zelt ist nicht mehr dicht und nach unseren Lobeshymnen auf den goldenen Herbst fragen wir uns, ob wir vielleicht auch nicht ganz dicht sind, Mitte Oktober noch in den Alpen zelten zu gehen …
Wir wandern durch die relativ flachen Lessinischen Alpen – der Fernwanderweg E5 verbindet in dieser verlassenen Region in Trentino alte lessinische Gehöfte. Wir bleiben heute ganz allein im Regen.
Dem Regen entkommen: Frühstück im Café in Erbezzo
Herbstliche Aussichten in das Vaio dell’Anguilla
Die Badewanne ist besetzt: Macht nichts, wir werden eh schon den ganzen Tag geduscht
Keiner mehr zuhause: Das Hofgut Zamberlini ist eines der lessinischen Gehöfte, die der Fernwanderweg E5 verbindet
Malerische Farben und Landschaften im Trentino zwischen dem Monte Spiazzoletti und dem Monte Potteghe
Tag 4: Ungeliebte Hotelgäste und Hausfriedensbruch
Albergo Belvedere in Giazza – Garten Malga Langarte
Zu unserem Glück konnten wir am Vorabend Giazza und die dortige Albergo Belvedere (Doppelzimmer 60 Euro) erreichen. Das Hotelzimmer wird zur Küche und Trockenkammer gleichermaßen umfunktioniert. Eine kurze Überschwemmung nach Dauerduschen wirkt dabei eher kontraproduktiv.
Am nächsten Morgen brechen wir mit einem etwas schlechtem Gewissen auf. Der freundliche Hotelbesitzer (mit seinen wunderschönen blauen Augen, die hier erwähnt werden müssen) wird sich bestimmt nicht über die von uns gesteigerte Strom- und Wasserrechnung freuen.
In Giazza verlassen wir den E5 vorerst. Die Etappe vom Rifugio Scalabori bis zum Rifugio Campogrosso können wir mit unseren schweren Rucksäcken nicht wagen. Erst recht nicht bei Regen. Stattdessen wandern wir über die Malga Terrazzo und den Passo della Lora vorbei an dem schon geschlossenen Rifugio Battisti. Bis auf einen weiteren Wanderer müssen wir auch heute die Berge nur mit Wolken und Nebel teilen.
Um 18 Uhr haben wir immer noch keinen passenden Zeltplatz gefunden. Wir klopfen bei der Malga Langarte an. Es ist niemand zuhause, aber der offene, überdachte Essplatz mit Tisch, von dem man normalerweise sicher eine grandiose Aussicht auf das Tal hat, ist zu verlockend. Wir zelten im Garten des Hauses und essen vom Regen geschützt an dem überdachten Tisch. Es zählt doch nicht als Hausfriendensbruch, wenn man keine Türe geöffnet hat und niemand merkt, dass man überhaupt da war?!
Der kleine Ort Giazza (Ljetzan) war ehemals eine der größten deutschen Sprachinseln im Trentino
Wir lachen über die Feuersalamander, die langsam und ungelenk herumkriechen. Bis uns auffällt, dass wir uns recht ähnlich fortbewegen
Alpenveilchen wachsen an vielen Stellen im Trentino
Die Wahrheit über Campingessen: Es sieht schlimm aus, schmeckt aber nach einem Tag Wandern immer fantastisch
Tag 5: Im Jagdrevier vom Trentino
Garten der Malga Langarte – Albergo Streva am Passo Fugazzo
Schon am Vorabend und die ganze Nacht über haben wir immer wieder Schüsse gehört. Wir sind mitten in der Jagdsaison, mittendrin im Jagdrevier. Am Morgen kommen die Schüsse immer näher. Als wir loslaufen gruselt es uns. Es ist nebelig und wer weiß, ob die Jäger uns bei dem Nebel von einem Reh unterscheiden können – auch wenn wir mit unseren großen Rucksäcken weder rehartig aussehen, noch uns so fühlen. Also beginnen wir lauthals „Hejo, spann den Wagen an …“ zu singen, um alle Missverständnisse eindeutig aus dem Weg zu räumen.
Wir kommen an einigen Jägern und an dem einladen aussehenden Rifugio alla Guardia vorbei und laufen weiter bis zum Rifugio Campogrosso, wo wir pitschnass ankommen. Die Albergo al Passo am Fugazzo Pass hat geschlossen, informiert uns die kecke Hüttenwirtin. Zum Glück gibt es in der Nähe die Albergo Streva (Doppelzimmer 60 Euro). Die wird heute Abend ebenfalls zur Trockenkammer umgewandelt.
Vorhang auf: Die Carega-Gruppe zeigt sich für ein paar Minuten
Mittagspause im Rifugio Campogrosso. Selbstgemachte Spaghetti
Wir sind zurück auf dem E5 und wandern durch die farbenfrohe Malga Boffetal
Tag 6: Warum man nicht im Herbst wandern sollte
Albergo Streva am Passo Fugazzo – Rovereto
Die Königsetappe über den geschichtsträchtigen Monte Pasubio steht am sechsten Tag an. Aber es donnert. Als wir vor die Türe gehen liegt Schnee. Ob wir nach oben können, fragen wir die Gastwirtin, die mit ein paar Bekannten draussen steht und skeptisch das Wetter begutachtet. Wir werden schallend ausgelacht. Zwei Gründe, warum man nicht im Herbst wandern sollte: Regen und Schnee.
Wir laufen im Schnee bis Camposilvano im Vallarsa Tal. Früher Kampsilvan genannt, war es wie Giazza eine von dreizehn Gemeinden im Trentino, die zur deutschen Sprachinsel Zimbern gehörten. Hier und dort erinnern Schilder daran. In Camposilvano fährt der Bus nach Rovereto ab, doch weil wir viel zu früh dort ankommen und nicht in der Kälte warten möchten, laufen wir weiter das Tal hinunter, das im 13.Jahrhundert von Deutschen Bauern besiedelt wurde. Und endlich werden wir für die dreitägige Regen-Schnee-Wetter Probe und das lange Laufen auf der Straße entschädigt.
Ready to go. Fehlen nur noch die Skier
Schilder müssen ernst genommen werden
Maria Hilf – weg mit dem Schnee und dem Regen!
Mit Sonne noch schöner: Kirche vor dem Gebirgszug des Monte Cornetto
Mundraub die zweite: Wen interessieren schon angebissene Äpfel, wenn man Birnen anbeissen kann
Nina, es sind wieder so schöne Bilder und die Texte sind zum Schmunzeln!!!
Danke! Wir mussten auch oft schmunzeln auf der Reise 🙂